Am Samstag hat in Merlebach, die vorletzte französische Grube geschlossen
Merlebach (hjs).
"Glück auf, Glück auf, der Steiger kommt..."
Die Männer, die die Hymne der lothringischen und saarländischen Bergleute singen, haben soeben französische Industriegeschichte geschrieben. Denn sie waren es, die am Samstag die letzte Tonne Steinkohle aus der Grube Merlebach geholt haben. Jetzt wird in Frankreich nur noch in der Mine La Houve in Creutzwald Kohle gebrochen. Und auch dort ist das Ende beschlossene Sache. Im kommenden April werden sich auch hier die Bergwerkstore für immer schließen. Das Ende einer Epoche.
Doch die neue Zeit hat im ehemaligen lothringischen Kohlebecken bereits begonnen.
Gilbert Babic leitet die Abteilung Industrialisation bei der lothringischen Bergwerksgesellschaft HBL (Houillières du Bassin de Lorraine). Seine Aufgabe ist es, Firmen von den Vorzügen der Region zu überzeugen. Die liegen für Babic auf der Hand: "Die grenznahe Lage im Zentrum Europas ist ein großer Standort-Vorteil." Denn Autobahnen führten von hier aus in alle wichtigen Regionen Zentraleuropas. Dazu sei die Bevölkerung gut ausgebildet und in weiten Teilen zweisprachig. Doch dieser Strukturwandel sei nicht über Nacht möglich gewesen. Schon zu Beginn der 60-er Jahre habe man in Lothringen begonnen, sich Gedanken über die Zukunft nach der Kohle zu machen. Bereits 1965 habe man einer systematischen Wirtschaftförderung angefangen. Inzwischen können die französischen Nachbarn auf fast 30.000 neue Arbeitsplätze verweisen. „Damit haben wir die Arbeitsplatzverluste im Bergbau fast völlig ausgeglichen“, zählt Babic auf. Doch dieses kleine Wirtschaftwunder habe großer Anstrengungen bedurft.
Der "Pacte charbonnier", der Kohlepakt, der 1994 aus der Taufe gehoben wurde, habe wesentlichen Anteil an den Fortschritten. Hier haben Gewerkschaften, Kommunen und die HBL Kriterien festgezurrt, die den sozial verträglichen Ausstieg aus der Kohle in den kommenden zehn Jahren sicher stellen sollten. Keiner der Bergleute, die jetzt ihre letzte Schicht gefahren haben, wird in die Arbeitslosigkeit entlassen, sondern wird bis zum Eintritt der Frührente in einen Kohle-Urlaub (Congè charbonnier) entlassen. Das sichert ihm auch weiterhin 80 Prozent seiner bisherigen Bezüge. Wer älter als 50 ist, kann sofort Frührente beziehen. Bei allem Stolz auf das erreichte, auch bei Babic kommen leise Bedenken auf: "Die Osterweiterung der Europäischen Union (EU) macht mir ein wenig Kopfzerbrechen. Denn die eine oder andere Firma könnte versucht sein, ihren Sitz von unserer Region weg in eines der billigeren Beitrittsländer zu verlagern."
Alfred Olszak, Pressesprecher der HBL, nennt ein Beispiel für den gelungenen Strukturwandel: "In Faulquemont hat man schon das Blatt gewendet." Dort sei es gelungen kleine und mittlere Unternehmen anzusiedeln, die einer ehemals reinen Kohlengemeinde ein völlig neues Gesicht gegeben hätten.
Charles Stirnweiss ist Bürgermeister von Forbach und einer Gemeinde, der den Strukturwandel in seiner Gemeinde hautnah miterlebt hat: "Es ist schwierig, eine Industrie zu verabschieden, die diese Region und ihren Wohlstand entscheidend mit geprägt hat." Aber darin liege die Chance, neue, innovative Unternehmen für die Gemeinde zu gewinnen. Zusammen mit dem Saarland sieht Stirnweiss die Möglichkeit einen Euro-Distrikt zu gründen, der die wirtschaftliche, soziale und politische Macht der beiden Gebiete ballt. Erste Ansätze dazu seien bereits gemacht, so arbeiteten die Wirtschaftverbände beider Regionen inzwischen eng zusammen. Aber Stirnweiss sieht Nachholbedarf in der Bildungspolitik: "Wir müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder deutsch und französisch als ihre Muttersprache sprechen. Englisch sollte dann erste Fremdsprache werden."
Zwiespältig die Meinung der betroffenen Bergleute. Für Franco Di Legami hat das Ende des Bergbaus in Merlebach alles verändert. Der 42 jährige Sohn italienischer Einwanderer trat in die Fußstapfen seines Vaters. Von der Pike auf hat er den Beruf des Bergmanns erlernt, hat zuletzt als Mechaniker unter Tage Maschinen zusammengebaut. Und nun ist er verantwortlich für den großen Festsaal in der Bergwerksverwaltung. "Was bleibt, ist die Erinnerung an die Kumpel, auch die, die wir haben zurück lassen müssen."
Sylvain Meier ist jetzt gerade mal 41 Jahre alt. Er wird erst im kommenden Jahr seine letzte Schicht in La Houve fahren. Auch er kommt aus einer Familie in der Bergbau Tradition hat: „Wir sind im Bergbau wie eine große Familie. Da ist ein solches Ende einer Grube immer, als würde ein Familienmitglied sterben.“ Und Meier teilt die Befürchtungen von Gilbert Babic: „Mit der Osterweiterung der EU wird ein Teil der neu angesiedelten Firmen seinen Sitz in die billigeren Staaten des Ostens verlagern. Und dann?"